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Einführung

Jeder Mensch trägt Gott in sich und hat die Möglichkeit, seine eigene göttliche Abstammung zu erkennen; wenige wissen um diesen inneren Schatz, und nur einige machen sich auf, ihn zu finden.

Die Gläubigen aller Religionen verehren jene großen Seelen, die ihr Leben Gott weihten und Ihn in unmittelbarer Weise erfuhren, wie es gewöhnlichen Menschen versagt ist, und anerkennen sie als Heilige. Es besteht dabei jedoch ein grundlegender Unterschied zwischen der westlichen und östlichen Denkweise: Der Westen betrachtet die Heiligen nur "im nachhinein", als Erscheinung der Vergangenheit; in anderen Teilen der Welt ist jedoch der Gedanke eines gegenwärtig lebenden Heiligen nicht nur durchaus vorstellbar, sondern man betet sogar inbrünstig darum - und es kann jederzeit sein, daß die Gebete der Gläubigen erhört und durch die Inkarnation eines Heiligen erfüllt werden.

Einer dieser Heiligen - eine reine, göttliche Inkarnation der Liebe und Wahrheit - war Sri Mahaprabhuji, der in Rajasthan, im nordwestlichen Indien, von 1828 bis 1963 lebte und wirkte. Unzählige Menschen - von denen viele noch heute leben - kannten und verehrten ihn. Durch seine Gnade und seinen Segen wurden die Menschen, deren Privileg es war, ihm in ihrem Leben zu begegnen, in wahrlich wunderbarer Weise zu Erkenntnis und Erleuchtung geführt.
Durch den Geist seiner Lehre beginnen wir zu verstehen, was für unser Dasein einzig und allein wichtig ist:

Selbstbeherrschung und Selbsterkenntnis.

In Indien ist es üblich, nicht nur den Heiligen und göttlichen Inkarnationen, sondern auch seinem spirituellen Lehrmeister tiefe Verehrung entgegenzubringen. Ist doch letzten Endes er jene Person, durch die der Schüler das kostbare Geschenk der Selbsterkenntnis und Verwirklichung erhält. Ich möchte daher noch kurz die Begriffe Meister und Schüler erläutern und etwas über die Bedeutung der Beziehung zwischen Meister und Schüler sagen.
Im Sanskrit nennt man einen Lehrer oder Meister Guru.
Gu bedeutet Finsternis; Ru bedeutet Licht.

Der Guru führt uns aus der Dunkelheit zum Licht, von Nichterkenntnis zu Er-kenntnis, von der Unwissenheit zum Wissen. Das Sanskrit-Wort für Schüler heißt Shishya und bedeutet vollkommene Hingabe; der Schüler legt sein Ego ab und ist bereit, um seines Zieles willen alles auf sich zu nehmen. Der verwirklichte spirituelle Meister wird Brahma Nishtha Shrotria Satguru genannt.

Das bedeutet dreierlei: Er besitzt völlige Meisterschaft über seinen Körper, seinen Geist und seine Sinne; er hat den Weg zur Gotteserkenntnis vollendet und vermag das Wissen der von ihm erlangten transzendenten Schau an andere weiterzugeben; und er kennt die Lehre der heiligen Schriften aus eigener Anschauung und Erfahrung und kann dem Schüler ihre Bedeutung übermitteln.

Man unterscheidet zwei Arten von Meistern: der eine erlangt seine Vervollkommnung durch langes und hartes Üben, wobei er von seinem eigenen Meister geführt wird, der andere wird bereits als Meister geboren.

Letzterer ist ein höheres Wesen, welches mit vollendeten Fähigkeiten inkarniert, und das man als Göttliche Seele bezeichnen kann. Jenen, der durch ständige Übung und Bemühung eine höhere Bewußtseinsstufe erreicht hat, nennt man einen Yogi, diesen hingegen - der von Beginn an über übernatürliche Kräfte verfügt - einen Mahayogsid[1] . Wie bei allem in dieser Welt, gibt es auch hier zwei verschiedene Auffassungen über ein und dasselbe: Menschen, die an eine bestimmte Religion glauben, sehen im Mahayogsid die Inkarnation der von ihnen persönlich verehrten Gottheit, wogegen der Freidenker, der auf der Suche nach Vergeistigung ist, in ihm einfach den Meister sieht.

Kein Meister wird sich selbst als höchste Macht und Ursprung seiner wunderbaren Taten bezeichnen; auch jener nicht, dem übernatürliche Kräfte zu eigen sind. Jeder Meister anerkennt Gott als Quelle allen Wissens und aller Kraft, gleich, ob es sich um den allwissenden, inkarnierten Gott oder um Gott in Gestalt seines eigenen Satguru handelt.

Gott oder das Höchste Selbst erscheint uns in zwei Formen. - Gott mit dem Verstand erfassen zu wollen, bedeutet zwar für den begrenzten menschlichen Geist Ähnliches wie der Versuch, den Ozean in einen Krug zu füllen, doch wollen wir trotzdem eine Erklärung wagen.  Eine Form des Höchsten nennen wir den Allmächtigen, der überall und in allem ist; Er ist gestaltlos. Seine zweite Form ist die inkarnierte Gott-Kraft, und dies sind die göttlichen Verkörperungen, von denen wir zuvor sprachen.

Wie zeigt sich nun dieser göttliche Wille in menschlicher Form? Eine solche Inkarnation vollbringt Taten, die weit außerhalb der Fähigkeiten eines gewöhnlichen Menschen liegen. Unter seiner Gnade verwandelt sich Dürre zu reicher Frucht, Krankheit zu Gesundheit, Tod zu Leben. Er kennt das Verlangen jeder Seele und vermag es zu stillen. Er kennt unser inneres Selbst. Seinem Willen sind keine Grenzen gesetzt. Er kann an mehreren Orten zur gleichen Zeit erscheinen. Das gab es, gibt es und wird es immer geben - doch ist es uns aufgrund der Schranken unseres Egos und unseres begrenzten Verstandes oft versagt, dies zu erkennen und zu verstehen.

Nur durch die Liebe können wir Gott verwirklichen. Gott ist Liebe und Liebe ist Gott. Liebe ist die universale Form des Göttlichen, und diese Liebe manifestiert sich in der Schöpfung als Schönheit. Liebe und Schönheit strahlen ständig von der Erscheinung des Meisters aus.

Was ist nun ein Schüler? Der Schüler ist ein Suchender nach der Erkenntnis seines wahren Selbst. Er steht in der nächsten Stufe der geistigen Evolution und besitzt dieselben Qualitäten und Fähigkeiten wie sein Meister - jedoch sind diese nur im Unbewußten vorhanden. Sie sind vergraben unter Unwissenheit. Das Bewußtsein des Schülers ist voller Irrtümer und Illusionen - deshalb fühlt er sich leer, verlassen und hilflos. Es ist ungeheuer schwer, ein Schüler zu sein! Ja, die Aufgabe ist für den Schüler sogar noch schwieriger als für den Guru, weil er das kleine, aber sehr mächtige Ich nicht ohne weiteres aufgeben und dem Meister überlassen kann.

Wissen ist endlos; es kennt keine Grenzen. Wissen erlangt man durch Übung und Erfahrung. In jedem Bereich des Lebens braucht man einen Lehrer, um etwas zu erlernen; zur Erlangung spirituellen Wissens benötigt man einen spirituellen Meister. Der Schüler nähert sich aus eigenem, innerem Streben heraus dem Meister, um seinen Segen für die Erleuchtung zu erlangen, so wie ein Dürstender seinen Wasserkrug zur Quelle trägt, um Wasser zu erhalten. Der Schüler soll seinem Meister volles Vertrauen schenken und von der tiefen Überzeugung erfüllt sein, daß dieser seinen Wunsch nach Selbstfindung und nach dem Nektar des göttlichen Wissens erfüllen wird. Der Meister ist der Gebende und der Schüler der Empfangende. Meister und Schüler sind wie zwei Kerzen: Der Meister ist die brennende Kerze, der Schüler die noch nicht entzündete. Damit die Kerze des Schülers ebenfalls leuchten kann, muß der Schüler zum Meister kommen; dies bedeutet, daß er den Worten des Meisters folgt und lernt.

Yoga ist kein Ritual, sondern eine Reihe von systematischen Übungen, die, in Vertrauen, Disziplin und fester Entschlossenheit praktiziert, zur Erleuchtung führen. Diese Übungen und Techniken sind Bestandteil eines uralten Wissens, das über die Jahrtausende von den Meistern an die Schüler weitergegeben wird.

Paramhans Swami Maheshwarananda

 


[1] Mahayogsid = großer, vollendeter Yogi

 

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