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Yoga Nidra

Mahaprabhuji_07smallAllen, die den Weg zur Spiritualität suchen, sei an dieser Stelle etwas über Ausdauer und Sadhana[1] gesagt: In der anfänglichen Begeisterung führt eigentlich jeder gewissenhaft seine Übungen durch. Die meisten erliegen jedoch bald einem der zwei grundlegenden Irrtümer. Entweder glauben sie, es sei ihnen unmöglich, das Ziel zu erreichen, und geben resigniert auf - oder aber sie wähnen sich bereits in Vollkommenheit und meinen, keiner Übung mehr zu bedürfen. Welcher Irrtum! Mahaprabhuji pflegte zu sagen, Übung sei für jeden notwendig und unersetzlich, wie hoch auch immer er gekommen sein möge:

"Wasser soll immer fließen. Steht es still, so beginnt es alsbald zu faulen."

Der Brunnen, aus dem man Wasser schöpft, wird von der Quelle immer von neuem mit reinem und frischem Wasser versorgt. Stehendes Wasser aber verdirbt und wird ungenießbar. In den Gesetzen der Natur bedeutet Leben stete Entwicklung, Stillstand hingegen Tod. Was wir gemeinhin Stillstand nennen, ist tatsächlich Rückschritt, keineswegs Stabilität. In derselben Weise sollen Übungen, seien sie nun körperlicher, geistiger oder spiritueller Natur, beständig fortgeführt werden, sonst bewegt sich unsere Entwicklung rückläufig.

Wir sollen daher unsere Sadhana ein Leben lang kontinuierlich Tag für Tag fortführen, Meister wie Schüler. Auch Mahaprabhuji führte bestimmte Übungen immer wieder durch. Wenn sogar er, die Vollkommenheit selbst, weiterhin übte, wie notwendig ist es dann erst für uns!

Es gibt allerdings große Unterschiede bezüglich der Qualität der Übung. Ohne rechtes Wissen können dem Strebenden absonderliche, ja schädliche Fehler unterlaufen.

Während seines Aufenthaltes in Pushkar wurde Mahaprabhuji von einigen Yogis besucht, die seltsame Vorstellungen über den spirituellen Weg hegten: sie meinten, sich immerfort zu strenger Askese zwingen zu müssen - sie fasteten, gönnten sich keinen Schlaf und setzten ihre fast unbekleideten Körper der stechenden Sonne wie auch nächtlichem Frost schutzlos aus. Kurzum, sie führten schonungslos sehr extreme Übungen durch.

Der Körper ist jedoch die Wohnstatt der Seele, weswegen wir ihn schützen und gesund erhalten, nicht aber grundlos quälen sollten. Natürlich soll er unter unserer Kontrolle stehen und nicht wir unter der seinigen, doch übersteigerte Anforderungen gereichen uns niemals zum Vorteil.

Die Asketen kamen um die Mittagszeit im Ashram an und erblickten Mahaprabhuji, der auf seinem Bett, mit einer Stola zugedeckt, ruhte. Spöttisch tuschelten sie: "Dieser Swami macht sich das Leben aber reichlich bequem! Wahrscheinlich verbringt er die meiste Zeit mit Essen und Schlafen..." Zu ihrer Überraschung setzte Mahaprabhuji sich auf und begrüßte sie freundlich: "Seid willkommen in diesem Ashram. Ich werde für euch einen Bhajan singen, hört nur zu!" Und er besang Yoga-Nidra, den "Schlaf des Yogi":

 

YOGI JANO KI YOG-NIDRA

Nur wenige kennen das Geheimnis des Yoga-Nidra.
Denn bei diesem Schlaf erwachst du;
die Sonne geht auf in der Nacht!
Den Blick nach innen gerichtet, ruhst du in Shunya,
weißer Leere, vom Körper völlig losgelöst.
Die nach unten weisende Blüte[2] öffnet sich,
und aus deinem Herzen kommen deine Worte.
Das schwebende Band des Bewußtseins ist mit Turiya verbunden
und das Unerreichbare wird erreicht.
In der Leere erstrahlen unzählige Sonnen;
die Kraft der göttlichen Natur erwacht in der umgekehrten Blüte
und wächst ins Überbewußtsein.
In der Verschmelzung seines Bewußtsein mit dem 
Überbewußtsein erfährt der Yogi das ewige Selbst,
vernimmt er den lautlosen Klang des göttlichen Namens.
Augenblicklich wird sein Bewußtsein mit dem Höchsten vereint.
Er erlangt Wissen über die Tattvas - die Elemente.
Jetzt ist sein Bewußtsein in die göttliche Heimat zurückgekehrt.
Hier ist nur reines Bewußtsein, hier gibt es keinerlei Erscheinungen.
Zuvor entbehrten seine Worte der Gewißheit:
Am Ufer stehend mutmaßte er, wie es wohl auf der anderen Seite sei.
Nun ist er Purusha - vollkommen.
Nun künden seine Worte von dem, was jenseits jeden Ausdrucks liegt.
Der allwissende Shiva enthüllte uns die Wissenschaft des Yoga.
Sri Krishna legte sie in der Gita dar.
Viele Heilige und Yogis sprachen davon, doch nur wenige erlangten Vollendung.
Sri Alakh Puriji, der wahre Sannyasi, hat alle Ebenen verwirklicht.
Sri Devpuriji, Herr der Yogis, zeigte mir die Welt des Formlosen.
Nur wenige kennen den Weg des Yoga-Nidra.
Wer ihn beherrscht, kann verstehen, was Guru bedeutet.
Swami Deep sagt: Jene sind die wahren Helden,
die in ihrem Bewußtsein das ewige Bewußtsein erweckten.

Während seines Vortrags wurden die Asketen ganz still und aufmerksam, auf daß ihnen kein Wort davon entgehe. Sie baten Mahaprabhuji um Verzeihung für ihre Unwissenheit:

"Getäuscht durch den äußeren Schein hielten wir Dich für einen gewöhnlichen Mann, der sich der Bequemlichkeit hingibt. Zum ersten Male hören wir heute von der Technik des Yoga-Nidra. Deine wunderbaren Worte drangen wie Pfeile in unser Herz und weckten in uns den Wunsch, dies von Gott kommende Wissen selbst erfahren zu dürfen. Großer Meister, wir bitten Dich, lehre uns den so außerordentlichen Schlaf der Yogis!"

In seiner Güte sagte Mahaprabhuji ihnen dieses zu. Er lehrte sie die Technik, den Zustand des bewußten Schlafes zu erlangen. Dann hob er seine Hand und versetzte sie in Yoga-Nidra. Als sie wieder in ihr alltägliches Bewußtsein zurückgekehrt waren, sagte er zu ihnen:

"Diese Erfahrung schenkte ich euch, damit ihr wißt, wonach ihr suchen müßt. Es wird euch jedoch sehr viel Mühe und Übung kosten, dieses Ziel selbst zu erreichen. Yoga-Nidra ist eine Bewußtseinszustand, in welchem ihr mit der den ganzen Kosmos durchströmenden, göttlichen Energie in Verbindung steht. Diese Energie wirkt außerhalb von Zeit und Raum. Daher begegnet ihr in dieser Bewußtseinsstufe euren früheren Leben ebenso wie sich die Ereignisse der Zukunft offenbaren.

Durch Yoga-Nidra könnt ihr eure Karmas aufarbeiten. Klarheit durchdringt die Ebenen des Unbewußten und Unterbewußten in euch. Yoga-Nidra ist eine hohe Yogatechnik, die keineswegs leicht zu beherrschen ist, da die Gefahr besteht, dabei in normalen Schlaf zu fallen."

Nur von einem Meister, der sie selbst beherrscht, kann diese Technik gelehrt werden. Anfangs wird Yoga-Nidra nur als körperliche und geistige Entspannungsübung angewandt; doch ist dies noch nicht der echte Yoga-Schlaf, welcher in viel tiefere Bewußtseinsschichten reicht. Yoga-Nidra ist auch nicht mit den Techniken der Autosuggestion oder des "Autogenen Training" zu verwechseln, durch welche spirituelle Erfahrung und Erweiterung des Bewußtseins nicht erreicht werden kann.

Sri Devpuriji entwickelte Yoga-Nidra und gab es an Mahaprabhuji weiter. Dieser lehrte es, wie durch Berichte belegt ist, etwa ab dem Jahre 1880 seinen Schülern. Swami Shivananda vermittelte die Technik des Yoga-Nidra auf seinen Reisen in den Himalaya - auf denen er unter anderen auch Swami Shivananda von Rishikesh und den in Europa sehr bekannten Swami Muktananda traf - mehreren Yogis und Swamis. So fand Yoga-Nidra allmählich unter den Yoga-Aspiranten in ganz Indien sowie auch in Europa und Amerika Verbreitung.

 


[1]Sadhana = spirituelle Übung

[2]Die "nach unten weisende Blüte" symbolisiert das Muladhar-Chakra, von dem aus die Kundalini-Shakti (spirituelle Energie) aufsteigt.

 

 

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