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Belehrung gegen Stolz und Hochmut

Leider gründete sich zu der Zeit, in der Mahaprabhuji lebte, die indische Sozialordnung immer noch weitgehend auf das menschenunwürdige Kastenwesen.

Ursprünglich wurden durch die - nachher zur Legitimation offensichtlicher Ungerechtigkeit mißbrauchte - Kasteneinteilung die Aufgabenbereiche der Bevölkerung festgelegt, was Voraussetzung einer funktionierenden Gesellschaftsordnung ist. Daraus durfte jedoch keine Wertung abgeleitet werden, und anfangs wurden die Menschen auch nicht - wie später in verfälschter Weise - nach der Geburt, sondern nur nach der Art ihrer Tätigkeit unterschieden.

Im Mahabharata heißt es:

"Handelt ein Metzger wie ein Brahmane, so ist er ein Brahmane; handelt hingegen ein Brahmane wie ein Metzger, so muß er als Metzger angesehen werden. Lege daher deine Eitelkeit ab und suche die Wahrheit in deiner Seele."

In der Bhagavad Gita wird in Analogie der menschliche Körper herangezogen: Der Kopf steht als Symbol für die Brahmanen, die Gelehrten und Priester des Landes. Die Kshatriyas oder Krieger schützten das Volk, so wie die Hände den Körper beschützen. Die Vaishyas - Händler und Bauern - werden mit dem Bauch des Menschen verglichen, und die Sudras oder Arbeiter mit den Füßen, die den Körper überallhin tragen, wohin er gehen soll.

Dem Gesetz nach sind alle Inder gleichberechtigt, in der Praxis aber leiden die Sudras oder - wie sie später genannt wurden - die "Unberührbaren" unter zahlreichen Diskriminierungen. Mahaprabhuji tat alles, was in seiner Macht stand, um gegen diese Ungerechtigkeiten vorzugehen. Die folgende Begebenheit zeugt von der verächtlichen Behandlung, der Angehörige einer niedrigen Kaste oft ausgesetzt waren, und von Mahaprabhujis Reaktion darauf.

Ein Bauer aus der Kaste der Sudras, der auf einem Feld arbeitete, suchte an einem heißen Tag eine Wasserstelle auf, um seinen Durst zu löschen. Der Brunnen gehörte einer Brahmanenfamilie. Als der Bauer um Erlaubnis bat, daraus trinken zu dürfen, würdigte ihn der Brahmane, der daneben saß und in einem Buch las, zunächst keiner Antwort; als dieser aber seine Bitte wiederholte, jagte er ihn mit groben Worten davon:

"Hier gibt es kein Wasser für dich. Weg mit dir! Du verunreinigst meinen Brunnen!"

Der Bauer ging weiter und gelangte zur Moschee des Ortes. Ein moslemischer Fakir, den der Bauer bat: "Herr, ich bin durstig, bitte gib mir etwas Wasser", antwortete freundlich:

"Sohn Allahs, bediene dich selbst - es steht ein Wasserkrug beim Brunnen."

Während er trank, dachte der Bauer:

"Was nützt es mir, ein Hindu zu sein, wenn ich von meinen Glaubensbrüdern nur Ablehnung erfahre."

Er ging zu dem Fakir, erzählte ihm sein Erlebnis mit dem Brahmanen und erklärte seine Absicht, Moslem zu werden. Der Fakir fragte den Bauern nach seinem Namen.

"Ich werde Kalu Ram genannt."

"Gut, dann sollst du in Zukunft Kalu Khan heißen. Nimm nun diesen Wasserkrug und fülle ihn am Brunnen des Brahmanen. Sollte er etwas dagegen einwenden wollen, denke daran, daß du einen starken rechten Fuß besitzst. Geh, Sohn Allahs, laß sehen, wer dich aufhalten kann!"

Kalu begab sich zu der Wasserstelle zurück und begann wortlos seinen Krug zu füllen. Zornerfüllt schrie ihn der Brahmane an:

"Scher dich weg! Wie kannst du es wagen, meinen Brunnen zu verschmutzen?"

Doch der Bauer erwiderte unerschrocken:

"Was nimmst du dir heraus? Ich bin Kalu Khan, ein Moslem!"

Er versetzte dem Brahmanen einen Fußtritt, daß dieser in den Sand fiel, und drohte ihm weitere Prügel an. Voller Angst bat der Hochmütige:

"Schone mich! Ich wußte nicht, daß du inzwischen zu Kalu Khan geworden bist. Verzeih meinen Irrtum."

Die Kunde von dieser Begebenheit verbreitete sich rasch im ganzen Distrikt und kam auch Mahaprabhuji zu Ohren. Es war das erste Mal, daß ich in seinen Augen Tränen sah. Er war voller Trauer über die Unwissenheit und Blindheit der Menschen in seinem Land.

 

"Sie haben der wahren Sinn der Religion vergessen", klagte er. "Sie sind selbstsüchtig und blind und kennen die Bedeutung der Nächstenliebe nicht. Diese armen Sudras arbeiten den ganzen Tag für kargen Lohn, und die anderen fügen ihnen nur Unrecht zu. Die Unterteilung in höhere und niedrigere Kasten ist ein furchtbarer Makel im Karma Indiens, unter dem das ganze Land zu leiden hat."

Mahaprabhuji rief alle seine Schüler zusammen und legte ihnen in einem Satsang die Ungerechtigkeit des Kastenwesens dar. Mit wahrlich göttlicher Eindringlichkeit zeigte er auf, wie falsch diese von den Menschen geschaffenen Unterscheidungen sind, von denen, die einander als Brüder begegnen sollten. Er machte ihnen bewußt, welchen Schaden dieses auf irrigen Annahmen basierende System dem Land und allen Bewohnern zufügt. Wie ein himmlischer Baumeister sprach er, der Ziegel auf Ziegel, Wort auf Wort setzt, um ein Haus der Liebe und Eintracht zu erbauen, in dem alle Lebewesen in Frieden zusammen leben können.

Dann rief er Kalu Khan zu sich und schenkte ihm eine Kette, wie sie die Brahmanen tragen.

"Mein Sohn, du bist ein Mensch und besitzst alle Rechte, doch wenn du es so willst, dann sei von jetzt ab ein Brahmane", sagte er, und zu seinen Schülern gewandt fuhr er fort:

"Zuerst war dieser Mann Sudra, dann Moslem, und nun erkläre ich ihn zum Brahmanen. Ist er nun dieselbe Person, die er immer war oder eine andere? Ob er Kalu Ram oder Kalu Khan heißt, ob er die Schnur der Brahmanen trägt oder nicht, macht weder irgendeinen Unterschied für seine Tätigkeit aus - er ist immer noch ein Bauer - noch für seine Seele, die immer noch dasselbe Karma hat wie zuvor. Als Brahmane ist er Gott nicht näher denn als Sudra, und als Moslem besitzt er dasselbe Wissen wie als Hindu."

Er erklärte ihnen, wie es sich in Wirklichkeit verhält:

"Ein wahrer Brahmane ist jener, der Brahma kennt: der Brahma-Gyani. Nicht durch Geburt erreicht man den Stand des Brahmanen, sondern dadurch, daß man Brahma-Gyana verwirklicht hat.

Alle menschlichen Wesen gehören nur einem einzigen Stand an: dem Stande der Menschheit. Daher ist es Zeichen der Unwissenheit, jemanden aufgrund einer Kaste als höher oder niedriger einzustufen. Vielmehr wird die Stellung einer Person durch ihre Eigenschaften, Fähigkeiten und Taten bestimmt. Wer aus Gold und Silber Schmuckstücke anfertigt, ist ein Goldschmied, wer Holzarbeiten macht, ein Zimmermann, und einer, der Leder bearbeitet, ist Gerber. Genauso ist nur jener, der Brahma kennt, ein Brahmane, und nur wer Lebewesen beschützt, ist ein Kshatriya."

Überall, wo Mahaprabhuji Satsang hielt, trat er gegen das Kastenwesen auf. Er ermutigte die Sudras, mehr Selbstbewußtsein zu zeigen, und klärte die Brahmanen darüber auf, daß niemand durch die Umstände seiner Geburt, sondern ein jeder nur durch seine Gedanken und Taten unrein werden kann.

 


 

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